Die Tür - für drei Sprecher von Folker Banik
Musik / Sounddesign: Andy Miles
Stephan B. hasst Haare. An seinem Körper vor allem, der soll rein sein, schmutzfrei. Er hasst auch Menschen, die viele Haare haben, sich nicht pflegen oder schlimmer: von arabisch-jüdischer Natur aus Haare haben. Die müssen weg. Diese Menschen müssen weg, die Haare auch, aber vor allem die Menschen.
Die Ereignisse vor der Tür der Synagoge in Halle 2019, als eine Frau von Stephan B., einem Incel, grundlos niedergeschossen wird, als ein Mann in einem Döner grundlos niedergeschossen wird, sind Teil seiner medialen Inszenierung: denn die Taten werden von Stephan B. live gestreamt.
Info
Ein Mann geht los und will Juden töten, möglichst viele, er will es filmen, damit alle es sehen. Stephan B. sieht sich im Recht, er verübt Notwehr, so sein Protokoll.
Ein Mann geht los und will Juden töten, er ist unauffällig, freundlich, ein netter junger Mann. Immer höflich.
Ein Mann geht los und will Juden töten, er scheitert draußen an der Tür der Synagoge, diese Tür, sie hält seinen Schüssen einfach stand, die Menschen drinnen: Sie fragen sich, wie lange hält die Tür?
Ein Mann geht los und will Juden töten, er dreht sich um und erschießt stattdessen eine junge Frau, dann einen Döner-Mann: alle schuldig! In seinen Augen sind alle Schuld. Denn er ist der Retter Deutschlands…
Kurzinfo
Rollen: 1 M, 2 F.
Stephan B. ( Mitte 20, Sohn)
Silke B. (Mitte/Ende 40, Mutter)
Asuna (jung, japanische Animee-Puppe und Asuna, jung, deutsche Polizistin)
Stimme der Mutter
Stimme der Kommentare
( Kölner Stadt-Anzeiger )
Wie konnte das passieren?
Die jüdische Bevölkerung in Deutschland sieht sich immer stärker werdenden Bedrohungen ausgesetzt, in Berlin werden Grundschulkinder beleidigt, bespuckt und angegriffen, selbst in Corona-Zeiten werden alte Stereotypen und Ressentiments wach: die Juden, die Weltverschwörung ‚NWO‘, George Soros, Bill Gates oder wer auch immer seien Schuld am Ausbruch und der Verbreitung des Virus. Monokausale Erklärungen für diese Beschuldigungen greifen zu kurz, denn es gibt sie einfach nicht: die eine Ursache, die solches Verhalten, einen wachsenden Antisemitismus und einen Femizid auf offenener Straße abschließend erklärt.
Die mediale Hörspiel-Performance‚'Die Tür‘ nimmt die Ereignisse an der Synagoge in Halle zum Anlass, um in das Innere des Attentäters zu blicken, seine Phantasien und seine Quellen. Es versucht den Punkt greifbar werden zu lassen, an dem aus latentem Hass manifeste Gewalt wird. Wie konnte das passieren? Was ist das für ein jüdisches Leben, bei dem es auf die Stabilität einer Holztür ankommt, ob ich überlebe und nicht auf ein gesamtgesellschaftliches Wirken? Oder schlicht: auf einen Polizeiwagen vor dem Eingang…
Je unsicherer Menschen werden, desto eher neigen sie zu einfachen, unterkomplexen Erklärungsmuster.
Diese Simplifizierung schafft Sicherheit, erzeugt aber auch Handlungsdruck, der sich im Fall des Stephan B. in Gewalt entlädt. Stephan B. hat keine Erfahrungen gemacht, die eine andere, differenzierte Deutung von Heterogenität ermöglichte.
Die Vielfalt nicht als Gefahr zu begreifen, die Komplexität von Lebensentwürfen auszuhalten ist eine Aufgabe, die bleibt und ist eine Anfrage an Erziehung zu Hause, im Kindergarten und in allen weiteren relevanten sozialen Räumen. Ambiguitätstoleranz ist lernbar.
Der Attentäter Stephan B. hat alles gefilmt, dann gestreamt. Das öffnet zwei Themenkomplexe: zum einen die Medialisierung des Alltags, die eine Grenze zwischen Fiktion und Realität immer diffuser werden lässt und zum anderen Meinungsblasen, die nur solche Nachrichten filtern, die zur vermuteten Auffassung passen.
( C. Zander )